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Stress beim Pferd - Wege zu stressfreiem Training und Umgang mit Deinem Pferd

Aktualisiert: 6. Sept. 2022


Stressfreier Umgang mit Deinem Pferd
Stressfreier Umgang mit Deinem Pferd © Kayla Farmer, unsplash.com

Stress beim Pferd wird nicht nur durch Fütterung und Haltung, sondern auch durch erlernte Hilflosigkeit, Trauma, festsitzende Emotionen und nicht zuletzt durch Schmerzen von falsch sitzenden Sätteln oder zu scharfen Gebissen ausgelöst. Dazu kommen noch Trainingsmethoden, die das Pferd unter massiven Druck setzen oder das Mikromanagement jedes einzelnen Verhaltens des Pferdes. Hast Du Dir schon mal überlegt, wie oft Dein Pferd nein sagen darf?


Zu diesem Thema hat Kristina Gau Hiltbrunner von Jiyuma Harmony in diesem Artikel ihre Gedanken für Dich zusammengefasst.

 

Stress beim Pferd - um jeden Preis zu vermeiden?

Stress gehört zum Leben dazu. Wenn wir versuchen alles so zu gestalten, damit ein Pferd ja nie Stress erfährt, erzeugt allein dieser Versuch wieder Stress. Es ist unmöglich und das ist auch gut so. Stress ist nicht zwingend etwas schlechtes. Es kommt auf die Art und den Blickwinkel an.


Positiver Stress - gibt es dass?

Ich unterscheide gerne in negativen und positiven Stress. Beide können ein Problem fürs Pferd darstellen, müssen es aber nicht.


Im Training unterscheiden wir zwischen positiver (R+) und negativer (R-) Verstärkung.

Die Ausübung von physischem Druck fällt in die Kategorie R-, denn sie erzeugt für einen Moment einen negativen Stress. Dies kommt zum Beispiel zum Tragen, wenn dem Pferd Druck gemacht wird um in den Hänger zu gehen. Ziel hierbei ist es, dass das Pferd im Hänger zur Ruhe kommt.


Obwohl diese Idee im ersten Moment logisch erscheint, so erzeugt es an den Orten vor dem Hänger aber Stress. Denn dort wird mehr Druck erzeugt, um dem Pferd den Hänger "schmackhaft" zu machen. Das Pferd lernt mit der Zeit, dem Druck zu weichen, um seine Ruhe zurück zu bekommen. Macht der Hänger ihm weiterhin trotzdem Stress, muss der Stress ausserhalb des Hänger höher sein als drinnen.


Die Hoffnung ist, dass das Pferd dabei lernt, dass der Hänger ja vielleicht nur ungewohnt aber doch gar nicht so schlimm ist. Aber was zumindest für eine Zeit lang oder vielleicht auch dauerhaft passiert, ist, dass das Pferd vor und im Hänger Stress hat. Das ist kein gesunder Zustand und kein Lernen.


Arbeiten wir im Bereich von R+, also geben wir für ein gewünschtes Verhalten zum Beispiel einen Keks, so kann auch dies Stress auslösen. Dieser positive Stress ist im Grunde etwas angenehmes, nämlich Futter, löst aber mitunter psychischen Druck aus. Sei es Erwartungsdruck durch den Menschen oder eigene Unruhe in der Hoffnung durch entsprechendes Verhalten noch mehr Futter zu bekommen.


Dies kann Pferde sehr unruhig bis aggressiv werden lassen. Das Pferd fängt dann zum Beispiel an zu schnappen oder unruhig eine Lektion nach der anderen abzuspulen. Hier ist es wichtig, auch die Ruhe des Pferdes positiv zu verstärken. Ob diese Form des Trainings weiterhin einen inneren Stress auslöst, sollte beobachtet werden.


Und auch wenn ich mich sehr für die positive Verstärkung ausspreche, so muss man den Stress immer im Auge haben. Für mich ist es in dem Zusammenhang wichtig zu betrachten, was man eigentlich warum vom Pferd fordert oder man sich wünscht. Wir können Pferden so vieles beibringen, aber ob das alles wirklich sein muss und im Sinne des Pferdes ist, ist für mich eine wichtige Frage.


Beobachtung oder Mikromanagement - wie genau sollten wir unsere Pferde beobachten?

Pferde beziehungsweise ihr Verhalten sehr im Detail zu beobachten, kann für Mensch und Pferd zu innerlichem Druck führen. Die einen korrigieren jeden kleinen „Fehler“ des Pferdes, weil sie sich ein perfektes Ergebnis wünschen. Das nennt man auch Mikromanagement.


Andere haben Angst, selber etwas falsch zu machen oder vielleicht auch zu viel Druck zu machen. Beides ist ein sehr unentspanntes Verhalten des Menschen. Auch hier braucht es einen goldenen Mittelweg bzw. die eigene Auseinandersetzung mit den Erwartungen, Ängsten und Träumen. Sanft in seinen Erwartungen und auch mit dem eigenen Blick zu sein, finde ich sehr wichtig.


Pferde, die immer sehr viel korrigiert werden, leiden psychisch oft sehr.

Sie haben das Gefühl, es nie wirklich richtig zu machen. Viele von ihnen stumpfen mit der Zeit ab und kommen in eine Hilflosigkeit. Manche hinterfragen sich aber auch sehr, fühlen sind minderwertig und denken einfach nicht gut genug zu sein. Und nein, das ist keine unnötige Vermenschlichung, auf die ich gleich noch zu sprechen komme.


Pferde sind sehr intelligente Wesen. Die Forschung kann dies schon immer besser belegen. Sie nehmen sich und ihre Umwelt sehr genau wahr und sie suchen Harmonie in der Beziehung zum Menschen. Wir dürfen daher genau überlegen, warum wir eigentlich was von ihnen fordern und wie wir das Training gestalten.


Denn je mehr wir uns ins Training vertiefen, desto mehr kann es passieren, dass wir uns immer mehr auf kleinste Details versteifen, unser Blick sehr fixierend wird und wir mental getrieben sind, dass es noch besser, und noch besser und noch besser gehen muss. Auch der Wunsch nach Perfektion ist nichts schlimmes, aber der Druck, der fast unmittelbar dadurch erzeugt wird, kann ein Lebewesen krank machen.


Depressionsartige Zustände sind nicht nur ein menschliches Phänomen.


Überkorrigieren und Mikromanagement des Pferdeverhaltens erzeugt Hilflosigkeit

Hilflosigkeit ist ein mentaler Zustand, in dem eine Resignation einsetzt. Der extremste Fall ist ein Pferd, das wie ein Roboter einfach nur noch funktioniert. Es gibt kaum ein Nein mehr von seiner Seite, aber auch kein klares Ja. Das Pferd ist in einer Art Automodus. Ein schrecklicher Zustand. Es gibt hier viele verschiedene Stufen und der Prozess fängt irgendwann einmal an.


Hilflosigkeit kann für das Pferd entstehen, wenn der Mensch auf seiner Meinung beharrt, obwohl diese nicht zum Wohle des Pferdes ist.

Werden Pferde sehr früh angeritten, mit 3 Jahren oder gar schon früher, dann sind sie meist mental noch sehr unreif und dadurch einfacher zu beherrschen. Besonders schnellen Ausbildungsmethoden spielt das in die Hände, um Pferde innerhalb weniger Wochen reitbar zu machen. Dass dies für Körper und Psyche eine enorme Belastung darstellt, wird dabei gerne verdrängt. Wir haben zudem über die Jahrtausende Pferde gezüchtet, die in der Regel dem Menschen sehr zugewandt sind. Das nutzen wir immer weiter aus, indem wir auch pauschal davon ausgehen, dass jedes Pferd ein Reitpferd ist oder sein sollte.


Aber warum meinen wir das?


In den meisten Fällen, weil wir es gerne so möchten. Pferde kommen nie ohne Training auf die Idee, dass sich ein Mensch auf ihren Rücken setzen soll. Auch wenn manche durch ihre Vorfahren, lebenden Vorbilder oder die starke Bindung zu ihrem Menschen das Bedürfnis in Kommunikationen äussern, ihren Menschen tragen zu wollen, so ist dies erst einmal kein natürliches Verhalten.


Der Körper des Pferdes ist von Natur aus nicht dazu gemacht, einen Menschen zu tragen.

Wir meinen, weil wir Pferde züchten und sie als „Reitpferde“ betiteln, dass sie daher geritten werden können und müssen. Aber der Pferdekörper ist weiterhin nicht zum Reiten gemacht. Ganz im Gegenteil. Die moderne Zucht macht es teilweise sogar eher schlimmer. Hypermobilität ist nur ein Beispiel dafür, wie Pferde eigentlich eher unreitbarer werden. All das löst Schmerzen und Stress aus, über die wir sprechen müssen.


Reiterliche Ausrüstung kann Schmerzen verursachen und Stress beim Pferd auslösen


Sattel, Zaumzeug, Gebiss, Sporen und Gerte, um hier nur einige Gegenstände der Ausrüstung zum Reiten und Arbeiten von Pferden zu nennen, können Schmerzen auslösen. Man sagt zum Beispiel, dass über 90% der Sättel dem Pferd nicht passen. Das ist eine enorme Zahl, obwohl fast jeder Reiter glaubt, sein Sattel wäre eine Ausnahme.


Auch wenn ein Sattel vor wenigen Monaten erst angepasst wurde, kann er jetzt schon wieder unpassend sein. Mancher als "Massanfertigung" verkaufter Sattel, passt schon von Beginn an nicht wirklich. Auch wenn der Sattler anderer Meinung ist. Und am Ende ist es nicht wichtig, was wir meinen - auch wenn uns der Sattel natürlich auch passen muss. Er muss für das Pferd gut sein.


Da Pferde ihr Unbehagen oft nur sehr subtil zeigen, muss man hier sehr genau hinsehen und hinhören.

Andere schmerzauslösende Ausrüstungsgegenstände sind die verschiedenen Zäumungen. Was das jeweilige Pferd als angenehm empfindet, kann man unmöglich pauschal sagen. Aber muss man „mal mehr zupacken“, um das Pferd zu kontrollieren, egal ob mit oder ohne Gebiss, dann hat das immer einen Schmerz zur Folge. Warum würde das Pferd sonst anhalten oder sich wieder besser kontrollieren lassen?


Pferde lernen in der Regel sehr schnell, was eine Zäumung bewirken kann. Dass es sich damit dann gut Reiten lässt, hat nicht automatisch die Bedeutung, dass sie keinen Stress oder Schmerz auslöst.


Nervöses Kauen auf dem Gebiss ist nur eines von vielen Symptomen, die ein Warnsignal darstellen.

Wir wissen schon lange, dass die Knoten des Knotenhalfters auf empfindlichen Nervenausgangspunkten liegen. Ich habe diese Halfter früher gerne genutzt und immer gefunden, dass die Pferde so fein und schnell darauf reagieren. Ich habe lange gebraucht, mich zu fragen, warum das wohl so ist.


Ist an einem solchen Halfter dann noch ein schweres Führseil befestigt, kann dies gar einen dauerhaften Schmerz auslösen, bis der Körper durch die Ausschüttung von Hormonen dafür sorgt, dass der Schmerz gefühlt nachlässt. Das kann bei unpassenden Sätteln ebenso beobachtet werden. Anfängliches Unbehagen lässt nach wenigen Minuten nach. Aber dies ist nicht so, weil das Pferd sich einfach warm gelaufen hat, sondern weil der Körper sich zu schützen beginnt.


Ein weiteres interessantes Beispiel sind Gerten, Peitschen und Sporen. Haben wir ein Pferd, dem diese Hilfe erklärt wurde, reagiert es meist sehr schnell darauf. Und so kommt uns nicht in den Sinn, dass dies eine Schmerzerinnerung auslösen könnte. Man kann sich darüber streiten, ob ein leichtes Antippen, wenn es tatsächlich niemals verstärkt wurde, einen Schmerz oder eine entsprechende Erinnerung auslöst. Aber in den meisten Fällen wird eben doch verstärkt, um zu erklären.


Das Pferd hat eine sehr dünne Epidermis und sehr viele Nervenenden in seiner Haut. Sie sind daher sehr schmerzempfindlich.

In wissenschaftlichen Studien wurde die Epidermis von Menschen und Pferden verglichen und es konnte kein signifikanter Unterschied festgestellt werden (Australische Studie von Lydia Tong aus 2020). Daher kann eigentlich nur das Pferd entscheiden, was einen Schmerz auslöst oder nicht. Aber wir gehen hier meist von unserem eigenen Empfinden aus und richten unsere Handlungen an unseren eigenen Bedürfnissen aus. Wenn wir also denken, dass Pferd wäre schmerzunempfindlicher, dann ist eine Sporenhilfe nichts schlimmes. Wenn wir aber einmal spüren, wie es sich für uns im Bereich des Brustkorbes anfühlt, bekommen wir sehr wahrscheinlich eine andere Meinung dazu.


Und dann ist da noch der generelle Körper des Pferdes. Viele Pferde haben im Hinblick aufs Reiten körperliche Defizite, die erst einmal überwunden werden müssen. Schiefe und Vorhandlastigkeit betreffen alle Pferde. Und alle Pferde haben eines gemeinsam und das ist die Blutzirkulation in der Haut. Diese beeinflussen wir massiv, wenn wir sie reiten.


Wird Blut aus den Zellen gepresst, muss dies mit einem Schmerzimpuls einhergehen. Und Schmerz bedeutet auch immer Stress.

Hier kann es auf die Dauer des Reitens ankommen, wie hoch das Stresspotenzial ist. Aber nach allen Untersuchungen, die mir vorliegen, wird Blut unmittelbar nach Beginn des Reitens aus den Zellen gepresst. Dabei kommt es zu einer schwächeren Durchblutung des betroffenen Gewebes. Es wird davon ausgegangen, dass es ein ähnliches Gefühl sein könnte, als wenn uns Menschen ein Körperteil einschläft. Aber ganz genau wissen wir dies noch nicht. Wenn wir also davon ausgehen, dass als körpereigene Reaktion auf diesen Zustand die betroffenen Bereiche nach wenigen Minuten wieder schmerzunempfindlicher werden, dann ist das für mich ein Warnsignal. Denn die Prozesse im Körper hören nicht auf, nur weil ein Schmerzempfinden sich verändert und das Pferd sich nichts anmerken lässt. Das Ausbleiben von Abwehrreaktionen bedeutet nicht automatisch Wohlbefinden oder die Abwesenheit von Stress. Wir wissen heute, dass die gesundheitlichen Probleme der Muskulatur nah am Knochen anfangen. Dies ist ein Bereich, den wir nicht sehen können. Wenn wir sichtbare Veränderungen an der Haut bemerken, so ist dies nur die Spitze des Eisbergs von dem, was in der Tiefe vor sich geht.


Mir ist bewusst, dass diese Aussagen mentalen Stress bei Dir auslösen können. Denn Du liebst das Reiten und möchtest ja auch nur das Beste für Dein Pferd. Das verstehe ich gut, mir ging es viele Jahre lang ebenso. Und nein, Du musst nicht heute mit dem Reiten aufhören. Aber ich möchte Dir diese Informationen trotzdem nicht vorenthalten. Denn es geht mir in dem Zusammenhang um das Wohl des Pferdes. Ihnen zuliebe sollten wir die kritische Auseinandersetzung mit dem Thema nicht scheuen.



Artgerechter Umgang mit dem Pferd und was grenzt an Vermenschlichung

Der Grad zwischen nicht artgerechtem Umgang und Vermenschlichung ist schmal. Ich bin der Meinung, es braucht beide Sichtweisen.


Zum einen die klare Berücksichtigung der pferdetypischen Bedürfnisse. Hier ist es sehr hilfreich zu schauen, wie wildlebende Pferde leben. Auch wenn sie nicht aktiv domestiziert sind, können wir viel von ihrem Verhalten und ihrer Lebensart für unsere Pferde lernen. Denn in der Grundgenetik unterscheiden sie sich gar nicht von unseren heutigen Pferden.


Wilde und domestizierte Pferde haben die gleichen Bedürfnisse in Bezug auf die Bewegung, Ernährung und Sozialkontakt.

Gesunde Pferde benötigen in aller Regel keine wärmende oder vor Regen schützende Decke. Dieses Streitthema kommt spätestens jeden Winter erneut auf. Bei meinem langjährigen Pflegepferd war das lange Zeit anders. Da er auf verschiedenen Ebenen nicht gesund war, fror er im Winter stark und brauchte mehrere Jahre, um endlich mehr Winterfell produzieren zu können. Ihn frieren zu lassen, war keine Option für uns, die Thermoregulation funktionierte einfach nicht richtig.


Das Ziel sollte aber immer ein funktionierender Organismus sein. Scheren wir unsere Pferde, damit wir mit ihnen Sport treiben können, so müssen wir sie dann entsprechend vor Kälte schützen. Jedoch dürfen wir uns auch gerne wieder damit beschäftigen, warum wir was mit den Pferden machen und wie pferdegerecht dies tatsächlich ist. Bei vielen Themen wird klar, dass wir diesen Zustand meist unbewusst selber hervorrufen, damit unsere eigenen Bedürfnisse gestillt werden.


Zum anderen braucht es meiner meiner Meinung nach aber auch eine Form der Vermenschlichung. Denn so gut wir versuchen, uns in das Pferd hinein zu versetzen - es wird uns nie ganz gelingen. Wir werden nie wissen, wie es sich anfühlt, ein Pferd zu sein. Aber wir wissen, wie es ist ein Mensch zu sein. Und unsere Bedürfnisse gehen teils gar nicht so weit auseinander. Dies haben wir in Bezug auf die Empfindlichkeit der Haut bereits angeschaut. Wir haben nur das subjektive Gefühl, dass Pferde so ganz anders sind als wir.


Pferde sind extrem intelligente und komplex denkende Wesen. So wie wir auch.

Daher finde ich es gut, beide Sichtweisen im Blick zu behalten. Wenn wir für uns Grenzen setzen und Nein sagen dürfen, warum sollte es ein Pferd dann nicht auch dürfen? Meist ist es unsere Angst und unser Gefühl, alle Situationen kontrollieren zu müssen, die die Meinung des Pferdes nicht oder nur bedingt zulässt.


So sehe ich viele Beispiele, in denen das Pferd andauernd ungefragt angefasst wird. Viele Pferde reagieren darauf auch mit mehr Körperkontakt oder sie spielen mit den Lippen an unserem Ärmel herum. Das wird so lange zugelassen, bis Zähne ins Spiel kommen. Dann heisst es, dass Pferd sei respektlos. Doch hier dürfen wir gerne einmal genauer hinschauen, um herauszufinden, wer mit der Überschreitung von Grenzen ursprünglich angefangen hat. Ja, wir dürfen und müssen Grenzen setzen. Aber die Grenzen des Pferdes ebenfalls zu respektieren, ist der erste wichtige Schritt. So darf die Analyse gerne bei uns selber beginnen.


Wir wissen heute, dass Pferde Farben und Formen unterscheiden können. Sie können eindimensionale Abbildungen, dreidimensionalen Objekten zuordnen. Sie fühlen körperlichen und psychischen Schmerz. Pferde trauern und lieben. Wenn wir alle Faktoren genau betrachten und unsere eigenen Ängste zur Seite legen, dann haben Pferde sehr vergleichbare Bedürfnisse zu uns. Das Problem hierbei ist oft, dass wir unsere eigenen Bedürfnisse oft viel zu wenig kennen.


In dem Blickwinkel, dass wir nicht jedes Nein zwingend zu einem Ja umformen müssen, liegt ein grosses Potenzial!

Training zielt so gut wie immer darauf ab, aus einem Nein ein Ja zu machen. Das kann in einzelnen Situationen durchaus Sinn ergeben. Doch hinterfragen wir immer noch zu wenig, warum wir etwas vom Pferd verlangen - selbst wenn wir eigentlich ja nur das Beste für es wollen.


Je tiefer wir forschen, desto mehr bemerken wir, dass wir zum Beispiel ein Nein des Pferdes kaum akzeptieren können. Selbst in nicht lebensbedrohlichen Situationen. Unser Ego stellt uns dann ein Bein. Es möchte uns glauben lassen, dass, wenn wir nicht immer die Oberhand behalten, es irgendwann gefährlich werden kann.


Zwar ist es wichtig, dass wir als Mensch unserer Verantwortung dem Pferd gegenüber, was seine ganzheitliche Gesundheit betrifft, nachkommen. Doch sind wir leider oft sehr angstgesteuert, wenn es um unsere Pferde geht. Wir sehen ein Nein dann unter anderem als Ablehnung uns gegenüber.


Dass dies so viel mehr und oft auch anderes zu bedeuten hat, war für mich ein wichtiger Lernschritt.

So habe ich es zu Beginn persönlich genommen, wenn mein Pferd weggegangen ist, wenn ich in den Offenstall kam. Erst mit etwas Übung begann ich zu verstehen, welches Bedürfnis er jeweils gerade hatte und dass sein Nein überhaupt nicht persönlich gemeint war. Auf dieser Basis konnten wir beide mehr Verständnis für einander aufbauen.


Trauma beim Pferd - gibt es das?

Oh ja, absolut. Das betrifft schwere Traumatisierungen durch zum Beispiel einen Unfall oder körperlich und seelisch verletzende Ausbildung. Aber es kann auch der Verlust eines Freundes sein, der ein Trauma in Form einer festsitzenden Emotion auslöst.


Jedes Lebewesen hat festsitzende Emotionen.

Wir lernen kaum bis gar nicht, was unsere Emotionen zu bedeuten haben und wie wir konstruktiv damit umgehen können. Das ist bei uns Menschen so und bei domestizierten Pferden. Emotionen werden im Unterbewusstsein und teils auch im Körper abgespeichert und üben von hier aus ihren Einfluss aus.


Festsitzende Emotionen können daher Schmerzen oder gar Krankheiten auslösen und Verhalten massgeblich beeinflussen.

Wenn uns oder das Pferd etwas triggert, also mental extrem reizt, so hat dies mit nicht verarbeiteten Emotionen zu tun. Dies führt dann immer wieder zu Stress. Und erst wenn wir Hilfe bekommen, sei es durch einen Hinweis oder eine Therapie, können wir diese Themen aktiv lösen. Die Emotionen können im wahrsten Sinne des Wortes wieder ins Fliessen kommen.


So hatte ich dieses Jahr eine Stute in der Behandlung, die sehr stark durch festsitzende Emotionen getriggert wurde. Dies führe so weit, dass sie sich während einer Übungseinheit losriss und kopflos in den Stall zurück rannte. Dabei überrannte sie fast Menschen und andere Pferde, was auch mit der aktuell zunehmenden Erblindung zusammenhängen kann. Eine für alle Beteiligten sehr gefährliche Situation.


Bereits nach der ersten Behandlung wurde sie spürbar ruhiger und wirkte insgesamt entspannter.

Über mehrere Sitzungen konnten wir unter anderem die Emotionen Hass, Angst und Verteidigungshaltung aus dem Unterbewusstsein und Körper lösen und damit ihr Verhalten nachhaltig positiv beeinflussen.


Bei dieser Form der Therapie geht es darum, dass es dem Pferd körperlich und emotional wieder besser geht und es mit seinem Menschen zu einer harmonischen Beziehung zurückfinden kann. Dies konnten wir erreichen und sie findet sich nun Stück für Stück mit ihrer neuen Lebenssituation zurecht.



Falscher Umgang und falsches Training mit dem Pferd

Ich finde es wichtig zu betonen, dass „Fehler“ zum Leben dazu gehören. Und wie schon gesagt, es geht weder darum Schmerz noch Fehler um jeden Preis vermeiden zu wollen.


Aber ich finde es wichtig, sich seiner Verantwortung diesen hochsensiblen Lebewesen wieder mehr bewusst zu werden.

Sie sind nicht dazu da, um uns zu therapieren oder uns ein Freund in jeder Lebenslage zu sein. Sie sind ihrer selbst Willen auf dieser Welt und können uns als Wegbegleiter sehr viel lehren - vor allem Demut und die Rückbesinnung auf unsere eigene Natur.


Es stellt sich die Frage, wie viel Training ein Pferd eigentlich braucht.

Dies kommt sehr auf die Haltungsbedigungen an, wenn man die reine Gesunderhaltung des Pferdes im Blick hat. Auch die generelle Gesundheit des Pferdes spielt eine Rolle. Aber im allgemeinen beobachte ich, wie sehr sich die Menschen Stress in Bezug auf das Training machen.


Pferde sind von Natur aus keine Athleten. Wir Menschen wollen sie dazu machen oder züchten sie in diese Richtung. Generell lässt sich sagen, dass je weniger Bewegungsmöglichkeit und positive Herdenstruktur ein Pferd hat, desto mehr Beschäftigung braucht es. Dies kann Stress reduzieren, aber auch wieder neuen hervorrufen.


Sei dies körperlich durch falschen Ehrgeiz und nicht physiologische Bewegungsabläufe besonders in Biegungen, aber auch psychisch durch unseren eigenen Leistungsdruck. Vor allem wenn wir Reiten wollen, stellen wir körperlich hohe Ansprüche an die Pferde. Wir sind gar bemüht, sie muskulär stark umzuformen.


Aus eigener Erfahrung kann ich bestätigen, wie viel Stress von mir abgefallen ist, seitdem ich mich nach wissenschaftlichen Recherchen zum Thema gegen das Reiten entschieden habe. Mir wurde im Prozess und der kritischen Hinterfragung des Trainingsthemas immer bewusster, wie unentspannt ich doch oft war. Das war mir früher kaum aufgefallen.


Heute kann ich viel entspannter mit Pferden sein. Ich sehe nicht mehr die Trainingsziele, sondern das Wesen Pferd.

Auf diese Art ist ein Raum entstanden, in dem die Pferde und ich viel mehr entspannen und die gemeinsame Zeit geniessen können. Natürlich kann man in diesem Raum auch neue Dinge mit dem Pferd machen. Aber vielen Pferdemenschen ist es gar nicht bewusst, genau wie mir früher auch, unter welchem enormen Leistungsdruck sie durch das Training eigentlich stehen.


Sind wir erst einmal bereit uns dem Thema Stress, für uns selber und für unsere Pferde, anzunehmen und im Gegenzug uns mit der Harmonie und Verbindung zu beschäftigen, so eröffnen sich ganz neue Welten.


Eine harmonische Verbindung ist nicht automatisch geben, wenn das Pferd alles macht was man von ihm fordert. Ganz im Gegenteil!

Wir können und sollten Stress nicht um jeden Preis vermeiden wollen. Aber uns kritisch damit auseinanderzusetzen, wo es immer wiederkehrende Stressoren gibt, ist durchaus angebracht. So können Mensch und Pferd ihre innere Ruhe finden und gemeinsam noch enger zusammenwachsen. Denn tiefe Verbindung entsteht für mich aus der Gewissheit heraus, dass man gesehen und wahrgenommen wird. Da geht es uns Menschen ebenso wie den Pferden!

 

Über Kristina Gau Hiltbrunner: Es ist mir eine Herzensangelegenheit, Menschen und ihre Pferde zu begleiten, was ich bereits seit 2010 verwirklichen kann. Ich bin davon überzeugt, dass jeder Weg eines jeden Menschen und Pferdes einzigartig ist! Du musst deinen eigenen gehen, genau wie ich meinen gehe.

Ich habe das Bedürfnis, dass es Mensch und Tier gut geht, körperlich wie mental, und sie eine harmonische Partnerschaft leben. Dazu gehört es für mich, dass genau hin geschaut wird wo Grenzen überschritten, Ängste übergangen und Vertrauen zu sehr strapaziert wird. Pferde sind eine wunderbare Inspiration. Sie in ihrer Persönlichkeit zu fördern, ohne ihre Zuneigung zu unseren Gunsten auszunutzen, ist mein persönliches Anliegen.


Mehr über Kristina und ihre Angebote findest Du auf ihrer Webseite Jiyuma Harmony

 

Lies zu diesem Thema auch den Blog zu Stress beim Pferd durch Fütterung, Pflege und Haltung. Einfach auf das Bild klicken und weiterlesen!


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